Schimpansen – Sozialleben

Familienleben im Taï-Wald
Zu einer Schimpansengemeinschaft gehören mehrere erwachsene Männchen, mehrere Weibchen und deren Nachwuchs. Eine solche Gruppe kann zwischen zwölf und 150 Mitglieder umfassen. Die Tiere bleiben aber nicht den ganzen Tag zusammen, sondern streifen in kleineren Gruppen – sogenannten „Parties“ – umher.
Die „Parties“ bestehen aus zwei bis zwanzig Individuen mit wechselnder Zusammensetzung. Die Schimpansenmännchen der verschiedenen Parties halten untereinander Kontakt, indem sie auf große Baumwurzeln trommeln. Das ist in einem Umkreis von einem Kilometer zu hören. Am Abend kann sich jedoch die ganze Gruppe wieder treffen, um gemeinsam in den Bäumen Schlafnester zu bauen.
Die Männchen sind in einer Schimpansengruppe das dominante Geschlecht. Unter ihnen herrscht eine strenge Rangordnung. Sobald sie mit 15 Jahren erwachsen werden, müssen sie sich innerhalb der Gruppe behaupten. Das ranghöchste Männchen ist das sogenannte Alphamännchen. Auch unter den Weibchen gibt es eine Rangfolge, die aber schwächer ausgeprägt ist.
Für die Männchen ist der soziale Status wichtig für den Fortpflanzungserfolg: Im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste haben Christophe Boesch und seine Mitarbeiter vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie gezeigt, dass durchschnittlich die Hälfte aller Kinder vom Alphamännchen gezeugt wird. Die Zahl der Konkurrenten war in der Studie entscheidend für die Vaterschaftsrate: Waren weniger als vier Männchen in der Gruppe, stammten sogar zwei Drittel aller Kinder vom ranghöchsten Männchen ab. Bei mehr als vier Konkurrenten hingegen sank die Rate auf ein Drittel. Auch wenn mehrere empfängnisbereite Weibchen anwesend waren, schmälerte das den Erfolg des Alphamännchens. Sind also viele Weibchen in der Gruppe, bekommt auch der Zweit- oder Drittrangige Gelegenheit zur Paarung.
Mithilfe von Vaterschaftstests haben die Forscher außerdem nachgewiesen, dass sich die Weibchen bei der Partnerwahl auch außerhalb der eigenen Gemeinschaft umsehen: Von 19 getesteten Schimpansenkindern hatten zwei einen Vater aus einer anderen Gruppe. Ältere Weibchen wirken besonders attraktiv auf das andere Geschlecht und scharen die meisten Verehrer um sich – wahrscheinlich deshalb, weil sie bereits Erfahrung mitbringen und in den Augen der Männchen die besseren Mütter sind. Bei den Weibchen stehen junge, aufstrebende Männchen hoch im Kurs; ältere ohne Alpha-Status haben dagegen schlechte Karten. Die Weibchen paaren sich mit unterschiedlichen Männchen, sind aber während ihrer empfängnisbereiten Zeit besonders wählerisch. So nehmen sie Einfluss darauf, wer Vater ihrer Kinder wird.
Während Schimpansenmännchen ihr ganzes Leben in derselben Gemeinschaft verbringen, verlassen die Weibchen ihre Geburtsgruppe, sobald sie erwachsen sind. Sie schließen sich anderen Gemeinschaften an, um Familien zu gründen. Ihr erstes Kind bekommen sie durchschnittlich mit 13 Jahren. Meistens kommt nur alle fünf Jahre ein einzelnes Junges zur Welt. Anfangs klammert es sich an den Bauch der Mutter, später wird es auf dem Rücken herumgetragen. Es wird bis zu fünf Jahre lang gestillt. Nach sechs bis zwölf Monaten beginnt es, seine Umgebung zu erkunden und Spielkameraden zu treffen. Auch wenn das Junge schon entwöhnt ist, hält es sich noch jahrelang Jahre in der Nähe der Mutter auf. Sie bringt ihm alles bei, was zum Überleben wichtig ist.
Wie Christophe Boesch herausgefunden hat, ist die mütterliche Fürsorge aber nicht immer gleichmäßig verteilt. So kümmern sich bei den Taï-Schimpansen hochrangige Weibchen länger um ihre Söhne als um ihre Töchter: Ist das Baby ein Sohn, so ist der Abstand bis zur nächsten Geburt im Vergleich zu niederrangigen Weibchen zwei Jahre länger. Dieser Unterschied hat möglicherweise einen evolutionsbiologischen Hintergrund: Demnach sollte ein Weibchen mehr in dasjenige Geschlecht investieren, das mehr Enkel verspricht. So kann es die eigenen Gene am effizientesten an nachfolgende Generationen weitergeben. Indem sich die Mutter intensiv um ihre Söhne kümmert, erhöht sie deren Überlebenswahrscheinlichkeit. Später unterstützt sie ihre Söhne dabei, ebenfalls hohe Positionen in der Gruppe zu erreichen. Eine hohe Position bedeutet mehr Nachkommen – und damit mehr Enkel für die Mutter.
In anderen Regionen hat Christophe Boesch dieses Phänomen nicht beobachtet. Das hängt möglicherweise mit der unterschiedlichen Sozialstruktur zusammen. Während im Taï-Park 88 Prozent der Weibchen ihre Geburtsgruppe verlassen, sobald sie erwachsen werden, sind es etwa im Gombe Nationalpark in Tansania nur 13 Prozent. Mutter und Tochter bleiben also mit höherer Wahrscheinlichkeit für immer zusammen – ein Anreiz, sich intensiv um Töchter zu kümmern, weil sie später zu wichtigen Kooperationspartnern werden.
Bildquelle: pa/S.Cordier/WILDLIFE